Die Insel liegt im Atlantik – allerdings so nahe am Festland, dass eine Straße hinüber führt, die bei Ebbe zu befahren ist, le gois, ein alter Steinpfad aus Kopfsteinpflaster, neuerdings größtenteils asphaltiert. Eine Brücke verbindet die Insel, sodass sie heute tidenunabhängig am Weltgeschehen angebunden ist. Noirmoutier heißt sie, ca. 60 km südlich von Nantes ist sie die erste einer Reihe von Inseln, die alle mit dem Festland verbunden sind. Für zwei Dinge sind diese Inseln bekannt: für Austern und für Salz. Außerdem für Tourismus, doch der findet im Sommer statt. Im Winter gibt es nur wenige Verrückte wie mich, die freiwillig dorthin fahren.
Ich entschied mich, auf der Insel den Jahreswechsel zu verbringen.
Abfahrt im Tiefschnee am Dienstagmittag – die Strecke bekannt, in diesem Jahr fahre ich sie bereits zum dritten Mal, zumindest bis Le Mans, danach trennt sich die Autobahn in die Bretagne von der in den Süden.
Der Beginn führt dieses Mal nicht über den Schwarzwald, der Schnee ist ein zu großes Risiko. Also über Karlsruhe – die Autobahn ist sogar frei. Dann die A 5 nach Süden, eigentlich will ich in Iffezheim über die Grenze, das Navi ist sogar einverstanden. Schilder erklären, dort sei irgendetwas gesperrt. Also weiter – kein Risiko eingehen – bis Achern. Und da beginnt der Stau. Stop and Go wegen Baustellen. Aber immerhin fahren wir.
Dann stehen sie vor uns – etwa 200 m vor unserer Ausfahrt beginnt der richtige Stau. Der Standstreifen löst das Problem, wir sind runter. Jetzt kennen wir die Strecke gut – denn hier wären wir auch über den Schwarzwald angekommen, nur vermutlich einiges später.
Die französische Autobahn, die A 4, ist belebt, aber nur an der Ausfahrt nach Haguenau stockt der Verkehr kurz, nach der Mautstation ist es wie immer frei. Auch die Straße über die Vogesen ist kein Problem, der LKW vor uns fährt schnell genug. Auf der Autobahn Lunéville – Nancy wird es dunkel. Der Verkehr ist heftig. Aber wir schaffen die Ausfahrt, kommen zum bekannten Hotel in Laxou, das Zimmer ist mal wieder im 2. Stock, natürlich gibt es keinen Aufzug.
Dann Courtpaille – das Steakrestaurant gleich gegenüber, auch dort sind wir Stammkunde, nur ist es sonst nicht so überfüllt. Doch wir erhalten einen kleinen Tisch mitten im Raum. Magret de canard mit einer pomme de terre au four. Und dann kommt Père Noel. Er verteilt Stofftiere an die Kinder. Warum bekommt Buddy keins? Er liebt Stofftiere.
Am nächsten Tag dann die große Strecke durch die Champagne. Jeder Stein und jede nicht-vorhandene Kurve ist bekannt. Zuerst ist die Straße 4-spurig – bis Vitry-le-François. Dann zweispurig hinter LKWs her. Zum Glück gibt es immer wieder 4-spurige Strecken. Pause im Rasthof Sommessous, der von der Autobahn nach Süden und der RN4 zu erreichen ist. Dann die Francelienne. Vorher noch eine Pause im Einkaufszentrum an der Einfahrt zur Francelienne. Unfassbar, was da los ist. Menschenmengen schieben sich durch die Gänge, auf dem Parkplatz ist kaum ein Platz zu finden. Und dann die Ausfahrt. Ich stehe im Stau, um auf den Kreisverkehr hinauszukommen. Irgendwann bin ich draußen und fahre in die Francelienne hinein, die Paris im weiten Bogen umfährt. Dort ist viel Verkehr, aber kein ernsthaftes Problem. Wir kommen in angemessener Zeit zur A 11 – und in den Stau bzw. Stop-and-Go-Verkehr, der sich vor der Mautstelle über 20 km gebildet hat. Also wieder Pause – die Raststätte ist überfüllt. Schließlich geht es weiter, wir fahren durch die Mautstelle, nach der sich die A10 nach Bordeaux und die A 11 nach Rennes und Nantes trennen. Unsere Autobahn nach Westen ist relativ frei. Doch dann beginnt es zu schneien. Nichts Schlimmes, der Schnee ist sehr nass, außerdem ist die Autobahn gepökelt, so leicht bleibt da nichts liegen. Dennoch sehne ich Le Mans herbei, man weiß ja nicht, was noch kommt.
Als wir im Hotel sind, schneit es heftiger. Um zum Buffalo Grill zu kommen, müssen wir auf die andere Seite der Autobahn, also wieder fahren. Das Auto ist dick mit nassem Schnee bedeckt, der sich aber leicht wegfegen lässt. Nach dem Essen sind die Straßen schneebedeckt. Kein Problem, in das Gebiet um das Hotel zu kommen, doch kurz vor der Zufahrt müht sich ein entgegenkommender LKW mit der Steigung ab. Und da dieses ja gefährlich ist, traut sich ein PKW mit einer jungen Frau am Steuer nicht vorbei. Nur 30 m vor der Zufahrt – meine Hupe klingt gut. Die junge Frau findet ihren Gashebel und rollt vorbei, wir ebenfalls und rein in die Zufahrt des Hotels.
Am Donnerstag müssen wir noch ca. 280 km fahren. Der Schnee ist weg. Wir fahren nach Westen, das Land ist braun und grün, eine Erleichterung für die Augen. Wie in der Lorraine stehen große Flächen unter Wasser. Die Loire, vermute ich. Der Wind ist heftig, die Arme brauchen Bizeps, um das Lenkrad zu halten.
In Nantes können wir mal wieder über eine dieser imposanten Brücken fahren, von denen Frankreich mehrere zu bieten hat. Unter uns die Loire und der Hafen. Dann geht es über kleine Straßen weiter nach Süden, das Land ist platt mit Kiefern. In einem Super U kaufe ich die Erstausstattung fürs Haus und bin entsetzt, wie teuer alles ist, allerdings kaufe ich auch ein paar Leckereien. Wenn alle schlemmen, sollte ich es auch tun, wenigstens etwas.
Le gois, die Passage zur Insel. Wird sie frei sein? Die Vermieterin hatte geschrieben, sie sei bis 13:30 Uhr frei, inzwischen war es 14:30 Uhr. Ich fahre dennoch hin. Die Warntafeln am Zugang blinken bedrohlich. Das Wasser würde steigen, erzählen sie. Schön – das mag ja sein, aber ich sehe kein Wasser, das sich nähert. Stattdessen fahren Autos über das Sträßchen, einige parken im Watt, die Leute laufen auf dem Meeresboden rum und tun, was Franzosen gerne tun: sie sammeln. Muscheln. Und Würmer zum Angeln. Das sind Einheimische, die wissen, was sie tun. Und wenn sie noch auf le gois sind, kann ich das auch tun. Über diese Passage auf die Insel zu fahren ist einfach richtiger als über die Brücke.
Am liebsten würde ich aussteigen, aber das halte ich für später zurück. Muscheln sammeln kann ich auch. Ich erinnere mich an den ersten Aufenthalt vor fast 20 Jahren, auf dem Campingplatz mit der damals noch kleinen Nichte. Wir hatten Herzmuscheln gesammelt und brachten sie auf den Campingplatz, wo wir einige Deutsche kennengelernt hatten. Diese standen nun fassungslos um uns herum und betrachteten die Müschelchen. „Ihr wollt die essen?“ – „Natürlich! Was sonst?“ Sie beobachteten genau, wie ich sie kochte und dann aß. Auch Nichte liebte schon damals Meeresgetier. Die Deutschen schüttelten den Kopf. Das verstanden sie nicht.
Auch gut. Schön warm war es im Häuschen. Ich trage mein Gepäck ins Haus, packe aus und mache mir erst mal einen Kaffee.
Später kommt die Vermieterin. Nein, ihr Mann kommt, denn sie hat Angst vor dem Hund. Echte Angst. Panik, wie ich merke, als Buddy die Tür öffnet und zu uns kommen will. Wir erledigen das Geschäftliche draußen. Schön, dass sie ihn dennoch akzeptiert. Sie sind nett, die beiden – und vorne im Haus hat die Petite-fille einen Laden. Enkelin? Die Vermieter sind doch nicht so alt, sicher nicht viel älter als ich.
Später fällt mir ein, dass sie mir den Schlüssel für das Wifi nicht gegeben haben. Ich gehe zur kleinen Tochter, doch die hat keine Ahnung. Ich rufe an – besetzt – als ich sie schließlich erreiche, will sie mir die Zahlen zum Aufschreiben durchgeben. Das klappt nicht, sage ich. Sie wird die Enkelin anrufen und dort könne ich die Zahlen holen. Das klappt – ich gehe in den Laden, bekomme einen Zettel und ein fröhliches „Auf Wiedersehen!“ Oh – man spricht Deutsch.
Heute nun ist der 24. Dezember. Der Tag, an dem man in Deutschland Weihnachten feiert. Hier auch? Keine Ahnung. Der Supermarkt hat bis um 19 Uhr geöffnet.
Als ich gegen 8:30 Uhr aufstehe, ist es noch dunkel. Es wird gerade dämmrig. Als ich angezogen bin, um mit Buddy rauszugehen, ist es einigermaßen hell. Als ich in den Dünen bin, schimmern die Wolken rosa, die Sonne geht auf. Eine Runde am Strand, es ist anstrengend, denn der Wind ist heftig, es ist sehr kalt.
Nachmittags noch eine Runde, eigentlich will ich quer über die Insel auf die andere Seite, doch ich finde keinen Durchgang. Muss wohl die Karte noch einmal anschauen. Also doch mit dem Auto. Ich fahre ein Stück, dann laufen wir ein Stück – ich stelle fest, wir sind nicht weit von unserem Strandabschnitt. Morgen früh werden wir da hinauf laufen. Heute fahre ich jedoch noch ein Stück weiter, zum Wald, in dem ich damals, als ich mit Merlin meine ersten Ferien in einem Mobilhome gemacht hatte, immer gefahren war, weil es das einzige Gebiet auf der Insel ist, in dem man frei gehen kann, ohne am Strand entlang oder zwischen Häusern hindurch zu müssen. Heute haben sie die Dünen und den Kiefernwald mit Zäunen geschützt, der Mensch muss auf den Wegen bleiben. Das ist gut so. Der Erosion muss auch hier Einhalt geboten werden, die Pflanzen müssen eine Chance haben und dürfen nicht durch Touristenfüße niedergetrampelt werden. Doch in diesem hügeligen Wald gibt es genügend Pfade, um sich noch immer zu verirren.
Zu Hause ruft Nichte an. Sie ist bei ihren Freunden irgendwo in NRW. Und sie ist fasziniert, als ich sage, dass hier noch die Sonne scheine. In Deutschland war es zappenduster – gegen 17 Uhr. Die Sonne scheint um diese Zeit auch hier nicht mehr wirklich, aber es ist noch hell, und der Himmel ist blau. Morgens wird es zwar sehr spät hell, aber das gleicht der Abend lässig aus.
Das Weinachtsessen fällt dürftig aus. Ein Entrecôte mit Brot, ein paar Champignons und kleinen Tomaten, als Ausgleich hinterher ein Tiramisu. Ich nehme mir vor, die Entenbrust in der Niedergarmethode zu machen – morgen oder so, mal sehen.
Jetzt brennen überall die Christbäume – oder besser die Kerzen an den Christbäumen, ich wünsche niemandem, dass der Christbaum brennt. Außerdem hat der verantwortungsvolle Bürger heute ohnehin elektrische Kerzen. Hier brennt nur das Deckenlicht.
Der kleine Plastikbaum, der bei meiner Ankunft neben einer Flasche Muscadet stand, erinnert mich daran, dass Weihnachten ist. Schön – für alle anderen.
Liebe Eva,
AntwortenLöschenich wünsche dir auf jeden Fall schöne (Weihnachts)Tage auf der Insel! Hoffentlich klappt es mit deinen Fotos!
Grüße von Coratriton (Relaxo)