Donnerstag, 30. Dezember 2010

Zwischen den Jahren Tag 4


Wenn man krank ist, soll man Hühnersuppe essen, weil Zink drin ist und das gut für das Immunsystem ist. Wenn man aber keine Hühnersuppe hat, isst man halt, weil man ja am Meer ist, Fischsuppe – solche, die man in Flaschen kaufen kann, und die sogar auf der Insel hergestellt ist. Letztendlich fällt das auch gar nicht auf, denn bei Schnupfen schmeckt ohnehin alles gleich. Ob das nun Hühner- oder Fischsuppe ist, ist damit unwesentlich. Statt Zink ist eben ein bisschen Blei und andere schöne Schwermetalle drin, was soll’s, hilft sicher auch. Die Fischsuppe wird bekanntlich mit Croutons (Brotwürfeln in Fett gebraten), Rouille (Soße auf Mayonaisenbasis in Rosa) und geriebenem Käse gegessen – ist recht gehaltvoll dafür, dass es als Vorspeise gilt, ist aber netterweise nur bedingt Kalorienreich – wenn man mit diesen leckeren Zutaten vorsichtig umgeht. Heiß und scharf ist sie, das hat in jedem Fall geholfen.
Heute war der zweite Besuch in einer Apotheke, denn nach der Bronchitis kam nun der Schnupfen dazu. Dieses Mal in Noirmoutier-City, was nicht ganz einfach war, denn ich musste außerhalb parken und dann ins Städchen hinein gehen, aber das grüne Kreuz zeigte mir auch dieses Mal den Weg. Aus irgendeinem Grund war in diese Stadt ein Chaos mit Autos und Fußgängern, Generationengruppen, die mitten auf der Straße gingen, es war unfassbar.
Ich frage nach etwas für die „Blockade de la nez“, lerne zum Hundertsten Mal, dass das z hinten nicht gesprochen wird und Blockade nennt man das, was in der Nase stattfindet, auch nicht, außerdem ist die französische Nase männlich, was sicher mit einigen Zinken zu tun hat, denen man in Männergesichtern so begegnet.
Aber die Apothekerin weiß, was ich meinte. Ich frage nach etwas mit Meersalz und denke, ich kriege so ein kleines Spritzdingens, aber nein, es ist ein ausgewachsener Spray. Ist  auch nicht ganz billig. Drauf steht, es sei für die Nasenhygiene. Hübsch, denke ich. Warum nicht? Als ich es in meine Nase spraye, kann ich umgehend seit gestern zum ersten Mal wieder richtig atmen. Deshalb kann ich zwar noch immer nicht zwischen Hühner- und Fischsuppe geschmacklich unterscheiden, doch das Atmen ist einfach angenehmer so.
Also fahren wir an der Küste entlang durch mehrere kleine Dörfchen, alles Teile des Städtchens Noirmoutier mit engen, winkeligen Sträßchen und diesen sauberen weißen Kartonhäuschen, bis zum Ende dieses Zipfels der Insel. L’Herbaudière – das ist da, wo der Hafen ist. Ein Fischereihafen. Die Fischsuppe wird hier hergestellt. Außerdem gibt es einige Restaurants, die sogar geöffnet haben. Wäre vielleicht was, wenn mein Geschmacksvermögen zurückgekehrt ist – aber es ist allerdings sehr weit von zu Hause.

In L’Herbaudière steht auf dem äußersten Felsenzipfel ein Fort. Dort haben mal wieder die Deutschen ihre Betonschönheiten hinterlassen, in der Hoffnung, die Alliierten bei ihrem Ansturm auf die Vendée in den Atlantik jagen zu können, nur sind diese ja bekanntlich nicht am Atlantik gelandet, sondern in der Normandie. Neben den Betonbunkern gibt es auch noch alten Steinmauern, die darauf schließen lassen, dass schon vorher hier ein Fort gestanden hat. Heute scheint das Gelände im Sommer ein Campingplatz zu sein – oder ein Jugendferienlager, genau ist das nicht zu erkennen. Doch es ist kein geschlossenes Gelände. Man kann außen herum oder auch quer über die Wiese und zwischen den Bunkern hindurch zum Rand der Insel und damit des europäischen Kontinentes gelangen. Die Bunker können beklettert werden, und wer es nach ganz oben schafft, ist der Größte – wie eine Horde Kinder lautstark zu verstehen gibt. Kinder sind ja schon anstrengend, wenn man einfach nur ruhig das Meer genießen will, aber andererseits ist es schön, dass sie die Möglichkeit haben, solche Abenteuer zu erleben. Zuerst draußen auf den niederen Felsen im zurückweichenden Meer – ich höre auf dem Weg dorthin lauthalse Rufe kleiner schwarzer Schatten ganz draußen am Wasser, sehe winkende Hände, die von Erwachsenen auf dem sicheren Land fröhlich erwidert werden – dann auf den Bunkern. Die Erwachsenen stehen geduldig herum und bewundern ab und zu das Geschick der Jugendlichen. Niemand verbietet, man lässt einfach machen. Und wenn mal jemand runterfällt, wird das sicher auch eventuell nur ein Beinbruch sein. So soll es sein, denke ich. Auch wenn das Geschrei nervt.
Auf der Rückfahrt bin ich ziemlich benebelt, die Erkältung hat mich voll im Griff, da hat auch der Ausflug in die sauerstoffhaltige Luft nicht viel geändert. Ich kaufe aber noch beim Super U ein und nehme dieses Mal wirklich Leckereien mit, aber nur Dinge, die ich nicht sofort esse muss. Die erwähnte Fischsuppe ist die Rettung für den Abend – und als Hauptspeise das Lammsteak, das noch im Kühlschrank ist, in Niedergarmethode, auch wenn das heute Perlen vor den Schnupfen geworfen ist. Ansonsten Fisch und noch einmal eine Entenbrust, Zucchini und Pilze, außerdem Wachteleier. Die müssen auch einmal sein, und Silvester bietet sich an. Außerdem finde ich doch tatsächlich meine Lieblingstörtchen – tarte citron. Also gehen die auch mit – man muss nicht mal eines ganz auf einmal essen.

Und dann hoffe ich, dass ich den Silvestertag mit einem etwas klareren Kopf beginne als den heutigen. Auch wenn die Begegnung nach dem Morgendlauf mit dem ehemaligen Lokomotivführer, der den Engländern das Fahren des TGVs beibrachte, als diese durch den Channel Tunnel kamen, eine ganz nette war. Das Ganze nur, weil seine beiden Hunde und meiner Freundschaft schlossen. Mal gucken, ob ich die drei morgen wieder treffe. Der Mann spricht Englisch – dank seiner Kontakte zu den zugführenden Engländern.
Inzwischen überlege ich mir, ob die Häuser der Gegend nicht tatsächlich aus Karton gebaut sind. In meinem Häuschen, das, wie ich herausgefunden habe, erst dieses Jahr renoviert wurde, kommt die Feuchtigkeit durch die Wand. Am Eingang entlang der ganzen Wand steht schon fast das Wasser. Es dringt vom Garten, der etwas höher als der Fußboden des Hauses ist, ein. Mir ist das ja letztendlich egal, aber schön ist es nicht. Richtig trocken wird es in diesen Gemäuern somit nie. Zum Glück ist es im Schlafzimmer trocken, sonst wäre es problematisch.

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