Der letzte Tag dieses Jahres beginnt mit einem Lauf am Strand. Die Dame mit ihren beiden Hunden, dem Schwarzen und dem Husky, steht auf unserer Strecke. Zum ersten Mal sprechen wir Menschen miteinander. Ich stelle fest, sie hat einen Akzent, der mir irgendwie unbekannt ist und den ich auch nur schwer verstehen kann. Im Nachhinein denke ich, das war kein regionaler französischer Akzent, es könnte einfach ein fremdsprachiger sein. Irgendwie trifft sich im Seniorenalter einiges in diesen Gegenden, in denen man sich nach der Arbeitszeit gerne niederlässt. Nicht nur die Erben der Fischerhäuser, die nach einem Arbeitsleben in Paris und anderen Städten in die Heimat zurückkehren, um den Lebensabend hier zu verbringen, auch andere, die ein reiches und interessantes Arbeitsleben hinter sich lassen und genügend Geld übrig haben, lassen sich gerne an der Küste nieder, mit dem Resultat, dass hier in der Vendée sicher wie in der Bretagne sich ein großflächiges Altersheim entwickelt, denn die Jungen gehen zum Arbeiten in die Städte, sofern sie nicht im Tourismus beschäftigt sein können – was aber vermutlich größtenteils auch nur Saisonarbeit ist. Das Geld, das man erwirtschaften muss, um im Alter hier in der Gegend ein angenehmes Leben zu verbringen, verdient man sicher nur in einer Stadt.
Oh - jetzt muss ich stramm stehen, jetzt quatscht Sarko... Mes chers compatriotes - da meint er schon einmal sicher nicht mich damit. Pünktlich um 20 Uhr hat er angefangen, auf allen Kanälen. Ich vermute, danach beginnt das Große Fressen – Réveillon.
Und genau jetzt ist das Internet ausgefallen.
Ich beschließe nach dem Morgenlauf, dass heute kein Tag für längere Ausflüge ist, und fahre nur nachmittags zum Plastik- und Flaschenmüll, um die Halde unter dem Küchenbord zu leeren. Da ich schon im Auto sitze, fahre ich noch ein Stück Richtung Wald, laufe dann aber an einem Strand entlang und stürze beinahe einen Felsen hinunter, den ich eigentlich runterklettern wollte. Wäre ein netter Jahresabschluss gewesen. Ian Rankin im Ohr ist ein guter Begleiter bei diesem sandigen Spaziergang. Wir fahren aber bald wieder zurück ins Warme. Ich amüsiere mich ein weiteres Mal über die großen Mehrgenerationengruppen, die wie schwarze Wolken zwischen den weißen Häuschen herumstoben. Es ist teilweise ganz schön kritisch, hier Auto zu fahren, denn kleine Kinder springen kreuz und quer über die Straße – und auch wenn sie dann auf einer Seite stehen bleiben, traue ich ihnen zu, dass sie mir rein provokativ vor die Räder hüpfen.
Jugendliche laufen in großen Gruppen auf der Straße und denken nicht daran, für ein Auto aus dem Weg zu gehen. Ich fahre lange Zeit hinter ein paar Mädchen her. Sie wissen sehr wohl, dass da ein Auto hinter ihnen ist, aber es sind Jugendliche, und die müssen nicht aus dem Weg gehen, für sie existiert keine Welt außer ihrer. Ich tue ihnen nicht den Gefallen zu hupen, sondern rolle im Schritttempo hinter ihnen her. Ein Mädchen blickt sorgenvoll über ihre Schulter und löst sich aus der Reihe, um zur Seite zu gehen. Offensichtlich hat sie doch etwas Angst. Ihre Freundin läuft mit wiegenden Hüften nun alleine mitten in der Straße weiter, ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen. Sie wird niemandem aus dem Weg gehen. Niemals!
Vive la France! Oh – er ist fertig. Mal sehen, ob das Internet wieder kommt.
Als ich das Auto in Barbâtre vor dem Häuschen abstelle, kommt die Vermieterin zu mir her. Sie fragt, ob auch alles in Ordnung sein – klar ist es das. Kein guter Zeitpunkt, ihr zu erklären, wie schwach der Internetzugang ist. Und wie sehr mich das nervt.
Sie erzählt mir, dass die Leute im anderen kleinen Haus, die ich noch nicht gesehen habe, morgen abreisen. Schön. Und dass ich ja wohl die Waschmaschine verwendet habe. Habe ich. Sie hätte das Wasser nun abgestellt. Ok – brauche sie nicht mehr.
Ob ich ganz alleine feiern wollte heute Nacht? - „C'est ce que je veux“ – Das ist das, was ich will. Unfassbar in einer Gesellschaft, in der Silvester ein Réveillon ist – Weihnachten und Silvester wird „réveillon“ genannt – ein langes, langes Essen, Weihnachten in Familie, Silvester unter Freunden – aber Essen, Essen, essen. Die Nachrichten sind seit Tagen voll davon. Meeresfrüchte, Austern hauptsächlich, aber auch Langusten, Hummer, Krabben, Coquilles St. Jacques, die Stände auf dem Bildschirm lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Und natürlich der Deutschen liebstes Hassthema: Foies gras – Enten- und Gänseleber. Pasteten, ganze Lebern, vielfältige Rezepte und Tipps. Hier auf der Insel noch eine zweite Delikatesse, die Deutsche erschauern lässt: Froschschenkel. Ich kann selbst nicht glauben, dass ich sie nun auch ungekocht gesehen habe. Kapieren die nie was? Die angebotenen im Super-U kamen aus der Türkei. Ich bin überzeugt, auch da wurde der Frosch nicht erst getötet, bevor ihm die Beine abgerissen wurden. Froschschenkel habe ich aber wirklich nur hier und im Elsass noch gesehen, in Restfrankreich sind sie mir mal mindestens nicht aufgefallen. Foie gras dagegen gibt es überall. Ich vermute, es gibt kein Réveillon, auf dem es keine Austern und keine Fettleber zu essen gibt. Außer natürlich bei mir – bei mir gibt es einen kleinen Teller Fischsuppe und danach Tagliatelle mit Champignons und Tomaten und etwas Käse. Aber ich gönne mir ein Glas Rotwein – der seltsam schmeckt nach all den Husten- und Schnupfenmitteln. Ich denke, ich gehe bald ins Bett und lasse die anderen weiter das große Jahreswechselfressen feiern. Réveillon. Saint Sylvestre. Was der wohl dazu zu sagen hätte?
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