Montag, 10. Januar 2011

Heimfahrt und Ende


Sonntag, 9. Januar 2011
Brother Cadfael begleitet mich bis zur Mautstelle von Brumath. Toll, was für Kriminalgeschichten im 12. Jahrhundert möglich sind. Doch der Mönch praktiziert ein gutes Timing! Ich höre die letzten Kilometer  bis zum Hotel in Vendenheim noch etwas Katie Melua. Morgen gibt es meinen Lieblingsradiosender, auf Deutsch.
Heute Morgen fahre ich nach dem Frühstück zu einer guten Zeit, so etwa um halb 10 Uhr, los. Doch da Sonntag ist, beschließe ich, die Kirche vom Fluss aus zu fotografieren. Das Pariser Tor bietet sich da an. Und sonntags gibt es nicht so viel Verkehr. Ich parke dennoch sehr illegal, um die Sache schnell über die Bühne zu bekommen. Es gelingt mir, ein paar Fotos über die Altstadt am Hang hinauf zur Kathedrale zu machen. Dann fahre ich Richtung Paris. Auf der Ausfahrtsstraße, so weiß ich, gibt es irgendwo ein Hinweisschild: Panorama. Ich mache an einem Kreisverkehr eine Kehrtwendung, da ich bereits zu weit aus der Stadt bin, finde das Schild und auch den Platz. Ein Apfelbaum blockiert das Panorama. Aber es ist Winter, der Apfelbaum ist durchlässig. Ich fotografiere auch hier.
Schließlich schaffe ich es endgültig auf die Autobahn, dann auf die Francelienne und schließlich auf die RN4. Ich spiele mit mir, welchen Hügel und welchen Baum ich nicht kenne. Ich kenne alle. Rapunzels Turm entlockt mich wie jedes Mal ein Lächeln. Irgendwann werde ich noch herausfinden, was es mit diesem einsamen Turm an einem Waldrand in der Champagne auf sich hat.
Pause in der Raststätte von Sommesous – Belgier scheinen auf dem Rückweg zu sein, es ist die Hölle los, man spricht eine mir unbekannte Sprache. Vermutlich Ferienende. Aber offensichtlich fahren sie die Autobahn, denn auf der RN 4 ist es weiterhin ruhig, dann allerdings wie üblich um Nancy herum etwas Chaos, auch da viele Belgier. Richtung Strasbourg ist es wieder ruhig.
Als ich die Vogesen hinunterfahre, stelle ich fest, dass meine Entscheidung, noch einmal in Vendenheim zu übernachten, richtig ist – ich wäre noch nicht mal über der Grenze, bevor es ganz dunkel ist. Es ist 16:30 Uhr und dämmrig. Es ist auch bewölkt. Schon seit der Champagne ist es trüb, ab und zu regnet es. Abgefahren war ich im Sonnenschein, mit Sonnenbrille, doch irgendwann ist diese nicht mehr nötig gewesen. Dennoch, es ist dämmrig um halb fünf, nicht nur schlechtes Wetter. In Noirmoutier war es eine Stunde später so dämmrig, es war selbst um 18 Uhr noch hell. Jetzt ist es kurz nach 17 Uhr – und es ist draußen dunkel. Schon faszinierend.
Nachher gehe ich traditionell zum Buffalo Grill, danach reicht es mal wieder für Wochen mit Fleisch.
Und damit ist auch dieser Blog beendet.

Samstag, 8. Januar 2011

Abfahrt

Der Wecker piepst nicht – klingeln tut er eh nicht, wer hat heute noch klingelnde Wecker! Also wache ich zu meiner Zeit auf, und da es noch dunkel ist, denke ich, es ist zu früh. Immerhin bin ich so wach, dass ich auf die Uhr schaue. 4 Minuten nach 8 Uhr – um 7 Uhr wollte ich aufstehen. Nun ja.
Ich schwinge mich unter die Dusche und räume dann das Bad auf. Das Bett in die Transporttasche und ins Auto. Ich nehmen nicht nur Überzüge mit, wenn ich mir ein Haus miete, sondern gleich ein ganzes Federbett, denn ich habe keine Lust auf Ringkämpfe und Würgespiele mit französischen Wolldecken und losen Leintüchern. Das bedeutet zwar eine große Tasche im Auto, aber das ist es mir wert.
Gestern habe ich schon den Koffer und was ich sonst nicht mehr brauche raus getan, aber es gibt noch genug. Die Lebensmittel – nun habe ich doch keine Kühlbox dabei, es soll ja Winter sein – aber nach der Kälte der letzten Wochen ist es frühlingshaft warm. Tut der Entenleberpastete sicher nicht gut.
Der Boden ist kaum sauber zu bekommen, denn er ist feucht. Mir ist ja schon lange aufgefallen, dass die Feuchtigkeit durch die Wände kommt und der Boden entlang der Wände nicht nur feucht, sondern richtig nass ist – schon lange habe ich meine elektrischen Leitungen diesbezüglich gesichert. Als ich gestern den Wecker von dem kleinen Vorsprung in der Wand hinter dem Bett nehme, ist er tropfnass – auch da. Unglaublich! Ich kann sehen, wie sich buchstäblich der Schimmel entwickelt. Es wird Zeit, das absaufende Haus zu verlassen, wirklich! So nett es ist – aber bis Sommer können sie vermutlich neu renovieren.
Die Hundehaare lassen sich nicht zusammenkehren, sie sind alle nass – es nervt. Ich putze so gut es geht. Es ist 10 Uhr, eigentlich sollte nun die Vermieterin kommen. Aber sie kommt nicht, irgendwie hatte ich auch nicht mit ihr gerechnet. Gegen halb 11 rufe ich sie an, ich habe inzwischen fast alles im Auto, inklusive Buddy. „Oh“, meint Madame la propriétaire, „heute? Wollen Sie nicht länger bleiben?“ Ich errate den Sinn ihrer Worte mehr als das ich sie wirklich verstehe. Ich verneine. Das geht nicht. „Ok“, meint sie, „schließen Sie ab und lassen Sie den Schlüssel stecken.“ So bin ich ja auch schon angekommen – der Schlüssel steckte, das Haus war geheizt und sauber. Madame la patrone kam erst später. Nun gehe ich also ohne sie noch einmal zu sehen. Ist mir nicht unrecht.
Ich fahre durch das ganze Städchen und stelle fest, dass ich doch hätte abbiegen müssen, um zu le gois zu gelangen. Das Navi will mich über die Brücke haben. Also auf der Schnellstraße zurück. Ich will le gois. Le gois will mich nicht. Niedrigwasser ist erst 13:43 Uhr, es ist jetzt 11 Uhr – zu früh, die Straße ist noch überflutet. Ich fotografiere das und mache eine Kehrtwendung, um eben doch über die Brücke zu fahren. Das Navi ist mit mir zufrieden, es hatte es doch gleich gewusst. Ich möchte mal wissen, ob GPS dem Navi mitteilt, dass die Straße überflutet ist, denn als ich neulich hier fuhr, war es einverstanden und hat die Straße mit einbezogen.  
Die Umleitung hinter Bouin akzeptiert es sofort, offensichtlich ist der Umweg nicht sehr groß, wenn man es richtig macht. Ich höre Tri Yann, was gut in die Gegend passt, ich bin ja in der Bretagne. Dann bin ich beglückt, endlich die Périphérique um Nantes zu erreichen und durchstarten zu können, wenn auch erst mal nur mit 90 km/h, solange es um die Stadt herum geht. Die Brücke über die Loire ist auch aus dieser Richtung imposant.
Tri Yann ist auf der Autobahn zu Ende, ich suche mir ein Hörbuch auf dem IPod, Brother Cadfael.
Gegen 15:30 Uhr komme ich schon in Chartres an, tanke, um morgen einen vollen Tank zu haben, denn dann sind keine Supermärkte geöffnet. Im Hotel checke ich mit dem Automaten ein, was ausnahmsweise sogar problemlos klappt. Das Zimmer kennen wir schon – gleich die Nummer 1, ein Behindertenzimmer. Da waren wir schon im Herbst untergebracht.
Später habe ich dann wirklich großen Hunger. Ich gehe in das Restaurant nebenan, da isst man ganz gut und für französische Verhältnisse auch günstig.
Das Entrecôte ist billiger geworden. Ich bestelle es mit Pâte, was eine schlechte Idee ist. Ich versuche immer, die Pommes Frites zu vermeiden. Letztes Mal hatte ich grüne Bohnen, die grausig waren, dieses Mal also Nudeln, auch nicht gut. Vielleicht lieber doch Fritten und eben nicht essen.
Ich bestelle einen Aperitif – Kir mit Mure, Brombeerlikör. Als Vorspeise nehme ich vom Buffet. Es gab Crevetten, Müschelchen, Fischchen, die ich eigentlich für Katzen kenne - so ganz winzige, die frittiert werden. Buddy mag die Fischchen auch. Und einen Ring Calamari - zum probieren - und eine kleine Scheibe Fischpastete und ein kleines Stück Lachs und dann noch ein kleines Löffelchen Tabulé und eineTomate - von allem nur ganz wenig gibt einen vollen Teller. Das können die Leute hier besser, die müssen nicht immer von allem probieren. Die kennen schon alles... Ein Viertelchen Merlot dazu.  Als Hauptspeise wie gesagt Entrecôte - und davon bekommt Buddy auch ein großes Stück. Aber es schmeckt gut. Die Nudeln nicht. Dann fragt die Bedienung, was für ein Dessert ich möchte... Nein, kein Dessert! Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Es ging mal - aber das geht nicht mehr. Ich gucke auf die Nachbartische, ältere Leute - die essen ihre drei Gänge mit Dessert. Wahnsinn! Ich trinke stattdessen einen Decaf – einen entkoffeinierten Kaffee, denn Kaffee ist gut für die Verdauung - aber eben nicht abends mit Koffein. Heute ist ein schwarzes Schokoladentäfelchen dabei, das dürfen sie noch mal verkaufen. Und schließlich: eine so kleine Rechnung hatte ich in Frankreich höchstens in der Crêperie...

Freitag, 7. Januar 2011

Der letzte Tag


Schon morgens ist die Stimmung am Meer unglaublich. Es ist nicht mehr so grau wie gestern, aber es hängen dunkle Wolken an verschiedenen Stellen über dem Meer, die sich bis nach unten ziehen. Dort regnet es. Dummerweise ist eine solche Wolke auch dort, wo ich hingehen will. Sie häng wirklich bis auf die Dünen hinunter. Muss ich nass werden? Nein – netterweise zieht sie nach Norden ab, über die Insel, bis ich an der Stelle bin, ist sie weg.
Das war wohl unsere letzte Runde über die Dünen, denn morgen kann ich nicht so lange gehen. ausgerechnet heute werden auf der Straße zu den Dünen Baumaterialien abgeladen. Der LKW ist fast so breit wie die Straße und sein Kran sehr laut. Ich dränge mich vorbei – doch Buddy ist weg. Er hat Panik, rennt in die andere Richtung. Also zurück. Der Mann auf dem LKW lacht. „Il a peur.“ Ja, was für ein Wunder bei dem Lärm. 
Auf dem Rückweg ist die Aktion zum Glück beendet, der LKW ist weg. 
Nachmittags fahre ich noch einmal zum Fort St. Pierre. Ich finde, dieser Wald, die Felsen, Caspar David Friedrich könnte hier gemalt haben. Stilbruch zum lieblichen Art Nouveau der Hütten und der Häuser. Neuer Stilbruch: die Kleidung der Leute. Aber Virginia Woolf im Ohr gleicht das aus.  
Auf dem Rückweg kaufe ich dann noch Fleur de Sel. 
Zu Hause beginne ich zu packen.

Donnerstag, 6. Januar 2011

Epiphanias


Erste Amtshandlung heute Morgen: Freundin zum Geburtstag gratulieren. Antwort: Wir feiern im Goldoni. Hübsch – da will ich auch mit ihr feiern, wenn ich zurück bin. Feiertag ist hier keiner, die heiligen drei Könige scheinen nicht bis Frankreich gekommen zu sein. 
Einen Königskuchen - Galette des Rois – gibt es nicht, auch wenn mich das mal interessieren würde. Dinge seien eingebacken. Nun ja, denn.
Sonst bringt der Tag heute nicht viel, nur ekelhaften Regen schon bei der Morgenrunde, dazu ein heftiger Wind aus dem Südwesten, relativ warm, aber eben nass und unangenehm.
Nachmittags regnet es immer noch, aber irgendwann muss ich ja raus. Immerhin regnet es nicht durchgehend, und ich steige im Wald aus und beginne mal mindestens, ihn trocken zu durchgehen. Er hat es wirklich in sich. Ich parke an der kleinen Straße und gehe nach Norden, will bis zu dem Parkplatz, von dem aus wir gestern gestartet sind, will einfach mal ganz durchgehen.
Ist auch kein Problem. Zu Beginn gehe ich direkt am Zaun entlang, der die Dünen am Meer schützen. Ich überquere den Zugang, den wir auch schon hatten, den mit der Schranke wegen der Baustelle, gelange in die Lichtung, von der aus ich damals raus auf den Wall gegangen bin. Von dort gehe ich am Zaun entlang weiter bis zu der Straße, auf der ich gestern war. Dann drehe ich um, will soweit möglich parallel zum Hinweg zurückgehen. Inzwischen regnet es. Ich befinde mich auf einer relativ lichten Strecke, also werde ich nass. Nun ja, ich beeile mich, zurück unter die Bäume zu kommen. Und nehme einen der Wege, denn ich habe keine Ahnung mehr, welchen Pfad ich gekommen bin. Bin ich eine so steile Düne heruntergekommen? Ich steige den Weg hoch, viel zu steil für meine Begriffe – und stehe mal wieder an dem Zaun. Auf der anderen Seite sind Wege, aber genau die soll man ja nicht mehr gehe. Ich rutsche also wieder herunter und gehe weiter nach innen, weg von den äußeren Dünen. Ich stelle fest, dass ich das Haus, das da aus dem Wald erscheint, kenne, an dem Zaun bin ich entlang gegangen. Also gut – dieses Mal klappt es, ich gehe über die Erhöhung, hier nicht so steil, und auf der anderen Seite wieder hinunter zum Meereszugang mit dem Pfad, der mit Rindenmulch bedeckt ist. Dort läuft ein Paar mit einem Hund. Ich bemühe mich, Buddy zurückzuhalten, zu dem Freund zu rennen – er bleibt sogar in der Nähe, offensichtlich ist er bereits nicht mehr so begierig auf Kraftvergeudung. Als ich unten bin, sehe ich das Paar innerhalb des Zaunes. Ich denke über die Sinnlosigkeit des Versuches nach, diese Dünen zu retten. Mal wieder. Nicht zum ersten Mal.
Ich gehe weiter, bleibe weg von den äußeren Dünen und stehe wieder vor einem steilen Aufstieg, den ich allerdings kenne, dort geht es zum Parkplatz am Müllcontainer. Da will ich dieses Mal nicht hin, ich habe extra weiter weg geparkt, um nicht wieder Hundegelüste erweckt zu sehen. Ich nehme einen Pfad, der weiter rechts auf diese Düne geht, steil ist er auch. Oben sehe ich mal wieder Betonreste, offensichtlich hatten die Strategen der Wehmacht diese höchste Erhöhung für würdig befunden, auf ihr eine Kanone zu installieren. Aber ich erinnere mich, das schon mal gesehen zu haben. Ich gehe den Weg hinunter und lande unterhalb der Müllcontainer. Zwischen meinem Zugang und hier gibt es wohl wirklich tatsächlich keinen Durchgang. Ich beeile mich, die Hundenase in die entgegensetzte Richtung konzentrieren zu lassen, habe eine Diskussion mit dem ganzen Hund darüber, dass man auch an dieser kleinen Straße bei Fuß zu gehen hat – und sehe mein Auto.
Auf dem Heimweg versuche ich, im kleinen Super U hier gleich um die Ecke meine Salzvorräte aufzustocken – Salz aus Noirmoutier als Mitbringsel zu kaufen, aber das ist leider keine gute Idee, das Angebot ist nicht sehr ergiebig, kein Salz mit Basilikum. Also muss ich morgen doch noch mal in einen der großen Supermärkte. Hundefutter muss ich auch noch kaufen, hat doch nicht gereicht. Aber morgen ist auch noch ein Tag – der letzte. Übermorgen brechen wir auf.

Mittwoch, 5. Januar 2011

Es regnet

Nach der Ausführlichkeit des gestrigen Tages kann ich den heutigen Tag kurz halten, ohne deshalb weniger ausführlich zu sein. Denn es regnet.
Morgens sind die Dünen noch trocken, doch dann wird es draußen immer dunkler. Es beginnt zu regnen. Dennoch, ich muss raus. Ich entscheide mich für den Wald, fahre aber von L’Epine heran, finde auch einen Parkplatz an einem Strand, gehe kurz Richtung Wasser, um die wilde Soße zu bewundern, die dort tobt, es ist noch fast Hochwasser, und gehe dann einen kleinen Pfad in den Wald hinein. Bis zu der Lichtung gehe ich, an der ich neulich von der anderen Seite hinaus auf den Steindamm gegangen bin, um dann nicht wieder in den Wald zurückzugelangen. Ich gehe bis zu den Dünen am Wasser vor, ohne hinaus zu gehen, noch einmal brauche ich das nicht. Dann laufe ich auf einem Pfad hinauf, in die Richtung, in der das Auto steht. Wieder bin ich innerhalb des Schutzzaunes. Das scheint meine Bestimmung zu sein. Vielleicht wäre es aber auch sinnvoll, diese Schutzzäune ganz um die zu schützenden Dünen zu ziehen, ohne Lücken zu lassen, sonst passiert das, was ich jetzt auch mache – ich klettere kurzerhand über den Zaun. Buddy rennt unten durch.
Diese kleine Runde reicht, um „The Complaints“ von Ian Rankin zu beenden. Am Auto verabschiedet sich das Buch in meinen Ohren. Schade, ich finde, Ian Rankin passt gut hierher. Ich werde nun in Zukunft diese Insel mit dem Buch assoziieren – wie ich es in anderen Gegenden, Strecken, Landschaften schon mit anderen Büchern mache. Weshalb ich auch nicht jedes Buch in jeder Gegend hören kann. In keltische Gegenden – und das ist auch hier eine keltische Gegend – passen keltische Bücher.
Auf dem Rückweg fahre ich noch beim Intermarché vorbei und kaufe Fischsuppe. Bei dem Wetter einfach das beste Essen, wenn es schon keine Hühnersuppe sein kann. Auch wenn man nicht mehr erkältet ist.

Dienstag, 4. Januar 2011

Ausflug in die Bretagne

Sonnenaufgang am Meer – ein seltenes Erlebnis. Nicht dass er nicht jeden Tag stattfindet, doch wer ist normalerweise in einer Jahreszeit, in der man sich normalerweise freiwillig am Meer aufhält, so früh draußen – außer eventuell Hobby-Ornithologen oder Jogger. Aber wenn die Sonne erst kurz vor 9 Uhr aufgeht, ist die Chance größer, dass auch normale Menschen das Erlebnis genießen können. Für mich war es das erste Mal, zumindest hier, denn normalerweise weckt mich Buddy später. Heute wachte ich selbst kurz nach 8 Uhr auf, es war noch richtig dunkel. Obwohl ich das nicht mag, stand ich auf – und wir waren draußen, als es zwar nicht mehr dunkel, aber doch sehr dämmrig war, eine ziemlich deprimierende Stimmung so zwischen den Häusern, absolut still, nichts regt sich, selbst die Baustelle an der Straße unten war noch nicht aktiviert.
Als wir oben an den Dünen am Ende der Straße stehen, stockt mir der Atem. Der Himmel ist bewölkt, aber im Südwesten ist ein rot-gelber Schimmer, dort, wo die Sonne aus dem Meer steigt. Sie selbst sehe ich zwar nicht, das verhindern die Wolken, doch die Farben des grauen Teppichs am Himmel an dieser Stelle sind einfach überwältigend. Ich gehe hinunter an den Strand. Dort nehme ich mir Ian Rankin aus den Ohren, um das Geräusch der Stille wirklich erfassen zu können. Leise plätschert das Meer unten am Strand, das Wasser ist ziemlich niedrig, es könnte sein, dass gerade der Tiefstand erreicht ist.
Ich stecke mir wieder die Knöpfe ins Ohr, um Fox bei seinen Problemen in Edinburgh zuzuhören und gehe den Strand entlang, mit dem Rücken zur aufgehenden Sonne, um da, wo das Sträßchen im Strand endet, hinauf in die Dünen zu gelangen und auf dem Pfad in der Heide die Runde zu beenden.

Montag, 3. Januar 2011

Montag


Vögel über Vögel. Im Polder de Sébastopol überwintern sie. Klar, dass man dort den Hund nicht frei laufen lässt. Doch Buddy bleibt schön auf dem Weg, interessiert sich nur für die Wasseradern direkt neben dem Pfad, nicht für die Gefiederten, die mitten in den Sümpfen stehen.

Unser Ausflug beginnt heute an der Zufahrt zu Le Gois. Ich habe mal die im Haus herumliegenden Prospekte angeschaut und die Texte zu den Rundwanderwegen gelesen. Das hat mir bestätigt, dass ich diesen Polder doch mal besuchen möchte. Dort war schon im 19. Jahrhundert gegen das Meer ein Deich gebaut worden, der zur Landgewinnung diente, die Teiche innerhalb sind mit schmalen Dämmen unterteilt. Auch hier wurde Salz gewonnen. Im Gegensatz zu den Flächen im Norden wird das Gebiet hier jedoch offensichtlich nicht mehr dafür genutzt, es ist ein reines Naturschutzgebiet und eben eine Vogelschutzzone. Der Polder liegt tiefer als die Meereshöhe und ist wohl in den 70ern des letzten Jahrhunderts vollgelaufen, da brach der alte Deich. Nun gibt es einen neuen, und ein kleiner See mit einem Wehr zum Meer hin soll erneutes Eindringen des Wassers verhindern. Vieles hier auf der Insel, die ganzen Marais, in denen Salz gewonnen wird, liegen unter dem Meeresspiegel. Nun ja, irgendwann werden aus der einen Insel zwei, wie aus der Île de Ré, die im letzten März beim Sturm Xynthia gleich in drei Teile geteilt wurde. Wenn der Meeresspiegel steigt und das scheint er zu tun, wird es schon spannend. Allerdings auch auf dem Festland.
Ich gehe da, wo die Straße im Wasser verschwindet, auf den Deich. Das Auto habe ich weiter oben geparkt. Irgendwie habe ich die Phantasie, dass das Wasser weiter steigt und mein Auto nasse Füße bekommt. Also lasse ich es lieber weiter oben. Dort, am Rand des Wassers an der Straße, gibt es einen riesigen Schwarm kleiner Vögel, bestimmt tausend – Austernfischer könnten es sein, denke ich, ich kann es aber nicht genau erkennen. Als ich die Autotüre zuhaue, fliegen sie auf. Ein so großer Schwarm auffliegender Vögel ist ein imposanter Anblick. Der Scharm fliegt in einer Einheit auf, teilt sich wie im Tanz elegant in der Mitte, beide Teile fliegen in entgegengesetzter Richtung davon, ziehen synchron Bogen, der eine Teil rechts, der anderen links herum, treffen sich wieder zu einer einheitlichen Form – und setzen sich wieder auf das Watt. Wie gerne hätte ich das fotografiert! Aber das geht mit der kompakten Kamera auf die Entfernung nicht.
Ich gehe die Straße hinunter, bis sie im Wasser verschwindet und dann auf den Deich hoch. An der Ecke, an der unten die Straße eintaucht, steht ein Kreuz und einige Tafeln mit Erläuterungen zum Naturschutzgebiet. Die Rettungstürme ragen aus dem Wasser aus, mehr lässt nichts auf „le gois“ schließen, wenn man über die ruhige Oberfläche schaut. Ich gehe den Deich entlang am Meer, weg von der Straße. Auf der einen Seite ist die Bucht, jenseits kann ich die Küste bei Pornic erahnen. Das gehört mindestens historisch gesehen schon zur Bretagne, auch wenn es heute Loire-Atlantique ist. Den einzigen Teil der Bretagne, in dem Wein wächst – Muscadet, Loire-Weine – und der nicht nur deshalb der reichste Teil war, ist politisch vom Mutterland abgetrennt worden. Das ist eine der Argumente der bretonischen Separatisten.
Ich laufe auf dem Deich entlang, der bewachsen ist. Er führt um diesen kleinen See herum, der als Überlaufbecken dient. Dort wachsen sogar ein paar windzerzauste Bäume. Recht fällt es steil runter zum Meer, links auf steil runter Richtung See oder besser auf den Weg, der unten entlang führt – irgendwie nicht meine Lieblingsstuation. Ich hoffe eigentlich, dass unten ein Weg durch das Marais Richtung Bârbatre führt, damit ich eine Runde machen kann. Doch einmal gibt es keinen Abstieg – und zum anderen führt unten auch kein Weg am See entlang, wie ich eigentlich auf der Karte gesehen habe. Nach dem See wird der Damm eine Betonmauer, oder besser, der Deich ist zur See hin zubetoniert. Ich laufe auf dem schmalen Betonpfad, rechts führt die Mauer, wenn auch leicht schräg, ins Meer, links noch immer der Steindamm auf den Weg. Mir wird nicht schwindelig, nein. Ich sehe von weitem, dass nach einigen Metern eine Treppe hinunter auf den Weg führt und von dort eine Abzweigung durch das Moor zur Straße und zum Parkplatz an der Ruine des alten Bauernhofes. Dorthin würde ich gehen.
Und auf diesem Weg entdecke ich auch diese unzähligen Vögel, die im Moor überwintern. Das erzählt mir eine Tafel, die auch den Weg unten entlang am Damm sperrt. Von Herbst bis Frühling soll man dort nicht gehe, heißt es, um die Vögel nicht zu irritieren. Das verstehe ich, aber den Weg durchs Moor raus kann man gehen. Dort ist auch noch eine Erklärung zu Aalen angebracht. Offensichtlich leben die in dieser Soße.
Ich bin fasziniert von den Vögeln und ärgere mich, dass ich sie auf die Entfernung nicht richtig sehen kann. Nicht dass ich wüsste, um was für Arten es sich handelt. Immerhin kann ich Kraniche erkennen – aber was diese großen schwarz-weißen sind, habe ich keine Ahnung. Da fliegt ein ganz großer mit schweren Schwingen, sicher ein Raubvogel. Egal, wie sie heißen, sie sind einfach nur faszinierend. Und wenn ich dann noch daran denke, wo sie herkommen – wieviele Kilometer sie geflogen sind, von Island, Skandinavien, Grönland, der Tundra, um hier zu überwintern, habe ich höchsten Respekt.
Ich lande an der Ruine des Bauernhofes, an dem ich neulich schon mal von der Straße her mit dem Auto war, als ich beschlossen habe, den Polder Sébastopol interessant zu finden und mal zu Fuß begehen zu wollen. Das habe ich nun getan. Nach dem inneren Deich, dem alten Deich, wie ich gelesen habe, der vor der Landgewinnung die Insel schützte, biegt auch ein Weg wieder Richtung le gois ab. Somit können wir einen wunderschöne Runde schließen. Kurz vor Mündung auf die Straße biegt noch ein kleiner matschiger Pfad ins Moor ab, den ich beschließe zu gehen, muss hier aber Buddy mehrfach daran hindern, ins Moor selbst hinunterzuhüpfen. So wie er interessiert ist, vermute ich, im Gestrüpp leben einige pelzige Kleintiere.
Jetzt zeigt es sich als äußerst positiv, dass ich das Auto so weit oben geparkt habe. Wir müssen nicht weit an der Straße entlang gehen. Zwei belgische Autos stehen noch vor unserem, daneben Stative mit diesen Kameras mit Camouflage. Offensichtlich haben die dazugehörigen Herren den Schwarm Vögel fotografiert, der sich noch an der gleichen Stelle befindet. Ich beneide diese Hobbyornitologen schon wegen dieser Kamera. Bei den kleinen Vögeln saßen jetzt am Rand des Schwarmes noch größere, es könnten Gänse sein. Ich muss doch mal mein Fernglas aktivieren – ist ja nicht so, dass ich keines habe. Und vielleicht noch einmal mit meiner großen Kamera dorthin zurückkehren. Hoffen wir, dass es noch einmal so schönes Wetter ist.