Dienstag, 4. Januar 2011

Ausflug in die Bretagne

Sonnenaufgang am Meer – ein seltenes Erlebnis. Nicht dass er nicht jeden Tag stattfindet, doch wer ist normalerweise in einer Jahreszeit, in der man sich normalerweise freiwillig am Meer aufhält, so früh draußen – außer eventuell Hobby-Ornithologen oder Jogger. Aber wenn die Sonne erst kurz vor 9 Uhr aufgeht, ist die Chance größer, dass auch normale Menschen das Erlebnis genießen können. Für mich war es das erste Mal, zumindest hier, denn normalerweise weckt mich Buddy später. Heute wachte ich selbst kurz nach 8 Uhr auf, es war noch richtig dunkel. Obwohl ich das nicht mag, stand ich auf – und wir waren draußen, als es zwar nicht mehr dunkel, aber doch sehr dämmrig war, eine ziemlich deprimierende Stimmung so zwischen den Häusern, absolut still, nichts regt sich, selbst die Baustelle an der Straße unten war noch nicht aktiviert.
Als wir oben an den Dünen am Ende der Straße stehen, stockt mir der Atem. Der Himmel ist bewölkt, aber im Südwesten ist ein rot-gelber Schimmer, dort, wo die Sonne aus dem Meer steigt. Sie selbst sehe ich zwar nicht, das verhindern die Wolken, doch die Farben des grauen Teppichs am Himmel an dieser Stelle sind einfach überwältigend. Ich gehe hinunter an den Strand. Dort nehme ich mir Ian Rankin aus den Ohren, um das Geräusch der Stille wirklich erfassen zu können. Leise plätschert das Meer unten am Strand, das Wasser ist ziemlich niedrig, es könnte sein, dass gerade der Tiefstand erreicht ist.
Ich stecke mir wieder die Knöpfe ins Ohr, um Fox bei seinen Problemen in Edinburgh zuzuhören und gehe den Strand entlang, mit dem Rücken zur aufgehenden Sonne, um da, wo das Sträßchen im Strand endet, hinauf in die Dünen zu gelangen und auf dem Pfad in der Heide die Runde zu beenden.
Pointe de Sainte Gildas, Pornic – alles Orte, die ich mir auf Google Earth angeschaut habe. Heute will ich sie mal in Wirklichkeit sehen. Ich fahre in die Bretagne.
Erneut muss ich diese dumme Umleitung fahren, die mich weit ins Landesinnere führt. Ich bin sicher, ich hätte aus außen an der Küste über kleine Straßen fahren können, das wäre sicher viel näher gewesen, aber wenn man sich nicht auskennt, hilft nicht mal ein Navi in so einem Fall. Das Navi plärrt ohnehin die ganze Zeit: „Bitte wenden“. Es kapiert einfach nicht, dass das nichts nützt. Die Brücke ist gesperrt – 5 km nördlich von Bouin, als kommt man nicht durch – es sei denn man wüsste von kleinen Straßen westlich davon. Aber man weiß nicht.
Als ich die Grenze zwischen der Vendée und Loire-Atlantique überquere, lese ich begeistert: Bretagne historique. Wie schön! Zugeständnisse an den Tourismus machen möglich, was die Zentralregierung in Paris gerne vergessen hätte: Dieser Teil gehörte in der Geschichte zu der Bretagne, Nantes ist eine der fünf Hauptstädte der Bretagne, neben Rennes, der Haupt-Hauptstadt, St. Brieuc, Brest, Quimper und Vannes. Eine schöne Sache hier in Frankreich ist, dass die Geschichte für den Tourismus präsent ist. So ist das eben in einem Land, das wirklich Geschichte hat.
Schließlich lese ich Sainte Nazaire, Pornic – und bin wenigstens wieder auf einer Straße, die dorthin führt. Eigentlich hatte ich vorgehabt, am Ziel eine Crêperie zu suchen und zum Mittag mir ein Crêpe zu gönnen, aber ich muss damit rechnen, nicht vor 14 Uhr dort zu sein – und dann sind die meisten Esslokale geschlossen. Das ist eine Sache, an die man sich gewöhnen muss, wenn man aus Deutschland kommt. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt und richte mich darauf ein. Ich habe zwar beobachtet, dass diese starre Regel etwas aufgeweicht wird. Gerade Crêperien scheinen sich den Gewohnheiten des Tourismus zu beugen und ganztätig geöffnet zu haben, nicht alle, aber ab und zu, doch jetzt ist ja nun mal keine Ferienzeit.
Also biege ich kurzfristig und spontan zu einem „Centre commercial Europe“ ein, einem Gebiet, das hauptsächlich von einem LeClerc beherrscht wird, und dieser hat ein Restaurant dabei, ein Selbstbedienungsrestaurant, das sogar sehr angenehm aussieht.
Ich nehme mir von der Selbstbedienungstheke einen mittleren Teller Salate, ein Brötchen und kaufe an der Kasse einen Bon für einen Grande Café – und bereue für den Rest des Tages diese Wahl, denn der Salat oder Teile davon rumoren in meinem Inneren und stoßen mir unablässig auf. So gut hat der Salat nun wirklich nicht geschmeckt, um ihn mehrfach wieder kosten zu müssen.
Ich fahre weiter bis zum Ende der Landspitze Sainte Gildas – und lande zwischen Betonbunker. Die Geschichte meines Landes hat hier mal wieder zugeschlagen. Auf einer Karte sehe ich, dass hier ein wichtiges Zentrum deutscher Militärstrategie war – nun ja, das kann sogar ich verstehen, denn rechts ist die Mündung der Loire mit Saint Nazaire – einem der wichtigsten Häfen der Grande Nation und vor allem den großen Werften. Ich nehme an, das war auch damals so. Heute sieht man eine der höchsten Brücken Frankreichs, die über die Mündung der Loire führt. Oh ja, ich bin früher schon einmal drüber gefahren. Abgesehen davon, dass es sehr teuer ist, ist es ein Wahnsinnsgefühl. Ich kenne drei dieser Monsterbrücken: Diese, die Pont Normande über die Mündung der Seine, die Le Havre mit Honfleur verbindet – auf der man sich fühlt als würde man direkt ins Weltall starten – und dann natürlich die größte und höchste aller Brücken, die über den Tarn führt, das Viaduct de Millau. Schöner als Kino – und teurer auch.
Ich gehe links um die Felsenspitze herum. Hier ist mal wieder das Bemühen im Gange, der Erosion Einhalt zu gebieten. Die Wege sind schön breit. Das alte Semaphore ist nur noch Museum, die großen Bojen drum herum sind imposant. Wir gehen zuerst mal etwas ins Innere zum Semaphore. In dem Bunker auf der höchsten Erhöhung gibt es eine Rundumkarte, die ich mir genau anschaue. Ich sehe die Ile Noirmoutier – hätte ich nicht gedacht – den Kirchturm von Noirmoutier City, irgendwo soll dort le gois liegen, die ist natürlich nicht zu erkennen. Westlich von Noirmoutier ist diese unbewohnte Insel – auf der irgendein großes Gebäude steht. Leider finde ich keinerlei Informationen über diese Insel, nicht einmal ihren Namen. Auf der Rundumkarte steht er – aber ich habe ihn mir nicht gemerkt. Mist. Könnte das mal wieder militärisches Sperrgebiet sein? Landmarken ohne Information lassen gerne darauf schließen.
Weiter geht dann die Karte mit Hinweisen auf Orte, die nicht mehr ganz in Sichtweite sind: Caracas, Miami, New York und natürlich Québec. Das amüsiert mich. Der nächste Ort in Sichtweite ist dann Croisic in der Bretagne, oder besser die dortige Landspitze. Die Südküste, die Gegend um Guérande, ist in Sichtweite. Sie endet an der Brücke von St. Nazaire.

Wir gehen an den Häusern entlang, die bis dahin gebaut sind – mal wieder viel zu dicht am Meer, neu wie sie sind, gehe ich davon aus, dass das Semaphore bis vor nicht allzu langer Zeit alleine auf dem Felsen stand. Die Sicht, die diese teilweise hübschen weißen und nicht gerade kleinen Häuser im Stile der Vendée – Pappkartons individuell zusammengestellt – aufs Meer haben, ist natürlich phänomenal. Wir gehen zum Weg am Rand des Felsens zurück. Ein schöner Blick über die Bucht Richtung Préfailles belohnt uns dafür. Eine kleine steile Betontreppe führt zu einer kleinen sandigen Bucht zwischen den schwarzen Basaltfelsen. Das Wasser ist noch weit genug zurück, wir können hinunter. Buddy muss sich erst einmal dort übergeben, er hat mal wieder Gras gefressen. Er tut mir immer so leid, wenn ich das sehen muss, aber na ja, da muss er selbst durch.
Wieder oben gehen wir dann auf dem äußeren Weg wieder zurück Richtung Parkplatz. Hier haben die ökologischen Retter des Felsens und seiner Oberfläche offensichtlich aus Fehlern an ähnlichen Stellen gelernt, denn sie haben an einigen Stellen Pfade zu den äußeren Felsen zwischen den Rupfen und Schutzdrähten gelegt, sodass Kinder und kletternde Touristen auch dort hinaus können. Wenn das abgesperrt ist, wie ich es aus Teilen der Bretagne kenne, klettern die Leute drüber, um zu den Felsen zu gelangen. Auf den Felsen sind sogar größere Flächen aus Betonsteinen gebaut. Das finde ich nun wirklich gut, auch wenn ich nicht glaube, dass es lange so ordentlich und unbeschädigt aussehen wird. Auf den Felsen am Meer sitzen viele Vögel, Möwen, aber auch wieder Austernfischer und diese kleinen Strandläufer. Ich kenne ja nicht viele Vogelarten mit Namen, aber einige lernt man über die Jahre doch kennen.
Ganz weit in der Ferne am Horizont finden spannende Dinge statt. Mehrere große Schiffe – Tanker? Containerschiffe? Beides vermutlich – scheinen dort zu liegen. Es sieht aus als unterhielten sie sich miteinander. Ob sie wohl Kontrabande austauschen? Dann sehe ich, dass sich einer dieser Teile von den anderen löst und den Bug Richtung Loiremündung richtet. Aha – klar – da wollen die hin, ist ja logisch. St. Nazaire. Und vermutlich kann aus Sicherheitsgründen immer nur einer sich der Flußmündung nähern. Sicher werden dort draußen Lotsen an Bord genommen. Wenn ich diese Manöver von Schiffen beobachte, denke ich immer, wie geduldig Seeleute sein müssen, denn das Schiff bewegt sich so langsam vorwärts, dass man fast nicht sieht, wie es sich überhaupt bewegt. Nur wenn ich einige Zeit nicht hinschaue und dann wieder gucke, sehe ich, dass es größer und deutlicher geworden ist. Aber vermutlich wird den Seeleuten an Bord trotzdem nicht langweilig. Sicher ist es nicht einfach, einen solchen Koloss in diesem engen Fahrwasser zu manövrieren.
Zurück im Auto fahre ich etwas kreuz und quer durch das Örtchen, weil ich versuchen will, an der Küste auf den kleinen Straßen zurückzufahren. Das Navi programmiere ich erst mal gar nicht, es würde nur maulen. Ich verirre mich in den Einbahnstraßen und komme wieder am Parkplatz vorbei – aber ok, das Ganze noch einmal und dieses Mal am Kreisverkehr gerade aus, dann klappt die Sache. Ich fahre durch Préfailles, kann die Küstenstraße nicht benutze, weil sie eine Einbahnstraße ist – in die entgegengestzte Richtung. Also irgendwie anders weiter, ins Landesinnere. Zurück an die Küste – ein wunderschöner Abschnitt mit diesen Fischerhütten auf Pfählen, die ins Meer hinausreichen, mit ihren aufgehängten Senknetzen. Ich mache einige Fotos, die durch die tiefstehende Sonne besonderen Reiz haben.
Dann Pornic. Ich fahre auf das alte Stadttor zu – leider ist es für meine Richtung gesperrt, ich muss links hoch in die Oberstadt. Schade.  Ich lande in engen Gassen zwischen Menschen, Autos und Läden, meine Lieblingssituation. Aber ok, ich schaffe es auch diese Mal und fahre den Berg wieder hinunter, lande am oberen Ende des natürlichen Hafens, der aus der Trichtermündung eines Flusses besteht. Der Quai könnte nun zwar in die andere Richtung gefahren werden, aber dann muss ich ja wieder über die Oberstadt zurück, Noch einmal muss ich das nicht haben. Ich überquere diese Kreuzung und halte mich aber auf der Straße am gegenüberliegenden Quai. Dort sehe ich zur alten Stadt hinüber. Was für ein hübscher Anblick. Am anderen Ufer reihen sich viele kleine weiße Häuschen, ich vermute, hauptsächlich Restaurants. Darüber die Oberstadt mit der Kirche, das Schloss steht am Ufer. Ich parke etwas illegal und fotografiere.
Die Villen und privaten Häuser sind hier wie auch schon vorher hauptsächlich im 19. Jahrhundert gebaut. Jugendstil schaut aus allen Giebeln und Fenstern, auch die Gärten mit ihren teilweise exotischen Bäumen zeugen von dieser Zeit. Die Zeit, in der der Badeurlaub erfunden wurde.
Dann fahre ich an der Küste weiter, durch mehrere klein Dörfer durch, die alle den Beinamen „en Retz“ haben, wie wohl dieser Küstenabschnitt, die Biegung zwischen dem nach Westen ragenden Felsen und der Ebene, dem Moor, genannt wird. Oder das Moor hier. Ich hatte die Namen auf Schildern im Landesinnern gelesen, also muss das richtig hier sein. Und hätte ich das vorher gewusst, hätte ich auf dem Hinweg diese leidige Umleitung umgehen können und die Fahrt wunderschön abkürzen können.
Das Moor ist sehr feucht, teilweise fahre ich auf Dämmen zwischen Wasserflächen hindurch. Irgendwann gelange ich an die Grenze zur Vendée. Noch einmal Fischerhütten mit Senknetzen und ein faszinierender Himmel, dieses Mal vor Dünen und Kiefern. Dann weiter in die Ebene. Ich bemühe mich, auf dem äußersten Sträßchen zu bleiben, das Navi ist inzwischen auf Bârbatre programmiert und mault ab und zu, weil es mich raus aus dieser Gegend auf die große Straße haben möchte – von der ich weiß, dass sie irgendwo gesperrt ist. Resultat: Ich lande bei den Austernfischern in einer Sackgasse. Also zurück. Ich lese begeistert Bouin. Im Ort verlasse ich mich dieses Mal wirklich aufs Navi, denn auf der Hinfahrt hatte ich das nicht getan und mich prompt in dem Einbahnstraßengeflecht verirrt.
In Beauvoir-sur-Mer kaufe ich noch im Super U ein. Als ich aus dem Laden komme, ist es dunkel. Die Fahrt zur Brücke ist interessant, die Lichter in der Ebene machen sie faszinierend. Auch über die Brücke ist es interessant. Man sieht die Lichter der Orte an den Ufern auf beiden Seiten. Aber viel schauen kann ich nicht, ich muss mich auf die Straße konzentrieren.
Nachdem ich nur mittags diesen seltsamen Salat hatte, der mir immer noch aufstößt, habe ich mich für Lammkoteletts entschieden. Ich grille sie in meiner Grillpfanne auf dem Gas, ohne dass sich etwas entzündet. Einige der Länge nach aufgeschnittene Scheiben Zucchini und ein paar dieser kleinen Tomaten werden auch noch mitgegrillt. Besser kann man nicht essen.

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